7.3 Integrierte Arbeitsweisen

Die Einflussmöglichkeiten auf die Projektgestaltung, ohne dabei höhere Ausgaben für Änderungen oder Anpassungen in Kauf nehmen zu müssen, nehmen im Verlaufe der Zeit ab. Das Fenster der Möglichkeiten, Änderungen ohne grössere Kostenfolgen vorzunehmen, schliesst sich spätestens bei Baubeginn – meist sogar schon vorher, da neben Materialbestellungen auch personelle Ressourcen verpflichtet werden müssen. Diese Fragmentierung zwischen Planung und Ausführung (siehe Abbildung 26) führt zu einer Konfrontation zwischen allen Beteiligten, da die Änderungskosten – je nach Anpassung – nicht zwingend durch den Auftraggeber übernommen werden und so auch bei der ausführenden oder planenden Firma verbleiben können.

Werden die ausführenden Unternehmungen früher eingebunden (siehe Abbildung 27), steht ein grösserer Gestaltungsrahmen zur Verfügung. Dabei stellt sich die Frage, wie eine solche Vergabe organisiert werden kann. Dies kann durch den Auftraggeber, der die Planungs- und Ausführungsleistungen bestellt, oder aber durch die Beauftragten erfolgen. Eine Möglichkeit, die unabhängig von der Unternehmensgrösse genutzt werden kann, stellen hier disziplinspezifische Werkgruppen (SIA und SBV, 1998) zum Beispiel für die Elektroinstallationen oder -anlagen dar.

Einflussmöglichkeiten bei fragmentierter Projektabwicklung
Abb. 26: Einflussmöglichkeiten bei fragmentierter Projektabwicklung (Quelle: in Anlehnung an Journal of the Construction Division, 1976)
Einflussmöglichkeiten bei integrierter Projektabwicklung
Abb. 27: Einflussmöglichkeiten bei integrierter Projektabwicklung (Quelle: in Anlehnung an Journal of the Construction Division, 1976)

Bereits aus den späten 1980er Jahren ist die integrierte Zusammenarbeit unter verschiedenen Disziplinen bekannt. Als Beispiel für eine horizontale Integration10 in der Planung hiesse das: die Disziplinen wie Architektur, Tragwerk, Gebäudetechnik, Elektrotechnik usw. stimmen sich untereinander so ab, dass ein möglichst optimales Bauwerk entsteht. Dazu müssen die relevanten Beteiligten ein gemeinsames fachliches Verständnis für- und miteinander entwickeln. Eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe ist dafür unerlässlich. Allein die Einsicht, dass eine solche horizontale Integration zu einem besseren Ergebnis für den Auftraggeber führt, genügt noch nicht, damit diese auch tatsächlich stattfindet. Fachkompetenz in der eigenen Disziplin und ein minimales fachliches Verständnis für die anderen Beteiligten sind eine Grundvoraussetzung und zugleich eine Grundhaltung. Hinzu kommt vor allem noch der Wille zur Zusammenarbeit und damit die Bereitschaft, die gemeinsame Arbeitsweise zu definieren, was primär keine Frage der fachlichen Kompetenz darstellt. Für eine erfolgreiche Zusammenarbeit sind ein gemeinsames Verständnis, Transparenz und eine offene Fehlerkultur unabdingbar.

Neben der horizontalen spielt vor allem auch die vertikale Integration eine immer wichtigere Rolle. Dabei geht es darum, die wertschöpfenden Tätigkeiten auch in der Fertigungstiefe, also in der Planung und Ausführung, integriert zu betrachten. Im Unterschied dazu liegt bei der horizontalen Integration der Fokus auf der gleichen Fertigungsstufe, zum Beispiel in der Planung oder der Ausführung. Die Kombination von horizontaler und vertikaler Integration hat in anderen Branchen, aber auch im Planungs-, Bau- und Immobilienwesen, dazu geführt, dass Organisationen tendenziell versuchen, durch Grösse immer mehr Leistungen abzudecken – nicht nur in der Planung oder Ausführung, sondern vermehrt auch in der Planung, Ausführung und Bewirtschaftung. Ein weiterer Ansatz der vertikalen Integration besteht in der Vernetzung und damit in der Bildung von Interessengemeinschaften. Diese ermöglicht es auch kleineren und mittleren Unternehmungen, sich mit der digitalen Transformation auseinanderzusetzen. Dazu ist zunächst eine strategische Ausrichtung, d. h. eine Auseinandersetzung mit den heutigen und künftigen Leistungen, zentral.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass ohne horizontale und vertikale Integration nur eine geringe Wertschöpfung für den Kunden und folglich für das Projekt stattfinden kann. Das hat den einfachen Grund, dass die Beteiligten ihre Arbeitserzeugnisse und damit ihre Produkte nicht oder nur schwach aufeinander abstimmen. Unter Integration wird dabei auch der Prozess der Entstehung und nicht nur das Ergebnis am Ende einer Phase oder beim Projektabschluss verstanden (siehe Abbildung 31).

Herausforderungen und Lösungsansätze
Abb. 28: Herausforderungen und Lösungsansätze

In Abbildung 28 werden die heutigen Herausforderungen mit Stichwörtern beschrieben. Bei Betrachtung der Lösungsansätze – ohne Anspruch auf deren Vollständigkeit oder Korrektheit – wird klar, dass es sich um Gegensätze handelt. Wer heute diffus kommuniziert oder Leistungen erbringt, die wenig transparent sind, kann davon ausgehen, dass das künftig aufgrund der Digitalisierung und später auch mit der zu erwartenden Transformation nicht mehr in dem heutigen Ausmass möglich sein wird. Natürlich wird eine gewisse Intransparenz bleiben, sofern dies für den Geschäftserfolg notwendig ist. Doch Unternehmungen, die mit der Transformation bereits weit fortgeschritten sind, haben eine offene Kultur der Zusammenarbeit entwickelt und sind bereit, Erfahrungen und Wissen zu teilen. Mit dem Teilen von Informationen wird vorausgesetzt, dass das Gegenüber dies auch tut und so ein gemeinsamer Mehrwert entsteht. Der offene Umgang mit Erfahrungen zwingt die eigene Unternehmung, sich stetig weiterzuentwickeln.

Einordnung der horizontalen und vertikalen Integration im Bauwesen
Abb. 29: Horizontale und vertikale Integration im Bauwesen (Quelle: in Anlehnung an Scheer 1995)

An dieser Stelle ist die bisher übliche rollende Planung zu überdenken. Unter diesem Begriff wird im allgemeinen Sprachgebrauch verstanden, dass die Planung während der Ausführung laufend und damit sozusagen «rollend» überarbeitet wird. Die rollende Planung steht also synonym für Änderungen während des laufenden Bauprozesses. Dabei fehlt oft die Zeit, die Realisierung zu überdenken. Das führt dazu, dass eine Optimierung der Fertigung kaum möglich ist. Lösungen müssen unmittelbar auf der Baustelle gesucht und innert kürzester Zeit gefunden werden. Eine Arbeitsvorbereitung über einen längeren Zeitraum ist so fast unmöglich. Die beteiligten Unternehmen müssen ihre Ressourcen (Organisation und Bereitstellung von Logistik, Material und Personal) immer wieder neu organisieren, weil sich die Grundlagen ständig ändern. Zudem steigt der administrative Aufwand, da die Anpassungen laufend erfasst und mit der ursprünglichen Kalkulation verglichen werden. Wenn mit dem VDC-Framework die Verbindlichkeit und damit die Stabilität und Produktivität auf der Baustelle erhöht werden soll, dann muss das bisherige Vorgehen hinterfragt und optimiert werden. Denn nur mit neuen Technologien allein wird sich das Potenzial einer besseren Zusammenarbeit und damit optimalen Realisierung auf der Baustelle nicht erschliessen lassen.

Ein Lösungsansatz für dieses Dilemma wäre, die ausführenden Unternehmungen früher in den Planungsprozess einzubeziehen, damit sie zusammen mit den beauftragten planenden Unternehmungen helfen, das Projekt für die optimale Realisierung und Bewirtschaftung vorzubereiten. Das bedingt eine andere, nämlich integrierte Zusammenarbeit zwischen Planung und Ausführung, welche in der Schweiz bis jetzt eher selten angewendet wird. Die Ausschreibung, gleich ob funktional oder mit einem Massen- und Mengenauszug, trennt die Planung von der Ausführung. Dieser Ansatz wird auch als Design-Bid-Build bezeichnet. Im Gegensatz dazu steht das Konzept des Design-Build. Durch das frühzeitige Einbinden von möglichst allen Kompetenzen (Bestellung, Planung, Ausführung und Bewirtschaftung) sollen Entscheidungen früher und fundierter getroffen werden. Damit diese Entscheidungen zu einem Bauwerk führen, das hinsichtlich seiner Baubarkeit, Nachhaltigkeit, Nutzbarkeit und Bewirtschaftung optimiert ist, müssen die benötigten Informationen so früh wie möglich zur Verfügung stehen. Die ausführenden Unternehmungen besitzen die Kompetenz, die Baubarkeit zu beurteilen und mitzugestalten, während Planende vor allem konzeptionelle Stärken einbringen. Die Einsicht, dass die Fortführung der rollenden Planung für die Ausführung nicht zielführend ist und damit keine Zukunft haben kann, ist bereits vorhanden. Nun muss diese Erkenntnis auch in die Praxis umgesetzt werden.

«Wenn Sie einen Scheissprozess digitalisieren, dann haben Sie einen scheiss digitalen Prozess.»

(Thorsten Dirks, CEO Telefonica Deutschland AG)

Als Beispiel kann hier der herrschende Fachkräftemangel angeführt werden: Eine Fokussierung auf die eigenen Kompetenzen und die Einbindung der fehlenden Fachbereiche könnten diese Situation wesentlich entschärfen. Das würde aber auch bedeuten, dass die Ausführungsplanung ein hohes Mass an Baubarkeit beinhaltet und folglich von Personen mit entsprechender Kompetenz umgesetzt werden muss. Sonst wird fast die gleiche Arbeit zweimal erledigt: einmal in der Planung und anschliessend in der Realisierung. Diese Veränderung ist fundamental und bedingt eine andere Kultur der Zusammenarbeit zwischen Planung und Ausführung.

Damit sich die Interessen aller Beteiligten auf das gemeinsame Ziel – den Projekterfolg – richten, bildet die Organisation der Zusammenarbeit einen wichtigen Bestandteil der integrierten Projektabwicklung. International sind verschiedene Modelle bekannt, die diesen Grundsatz beschreiben:

  • Integrated Project Delivery (IPD) ist ein strategisches Framework für eine optimierte Zusammenarbeit, bei dem das operative VDC- und Metrik-Framework dazu genutzt wird, optimale Bauwerke zu erstellen. IPD wird meist als Überbegriff für die Anwendung neuer und digitaler Methoden verwendet, auch wenn deren Einsatz nicht zwingend digitale Technologien erfordert.
  • Design-Build (Planung-Realisierung) bezeichnet die gemeinsame Planung zwischen ausführenden und planenden Unternehmungen. Das bedingt eine frühzeitige Einbindung der ausführenden Unternehmungen bereits in der Planung (Early Contractor Involvement, ECI).
  • Design-Bid-Build (Planung-Ausschreibung-Realisierung) bezeichnet den heute in der Schweiz gängigen Vorgang zur Vergabe von Bauleistungen. Dabei wird die Planung so weit abgeschlossen, dass die Leistungen ausgeschrieben und beauftragt werden können.
Frühe Einbindung aller Kompetenzen
Abb. 30: Frühe Einbindung aller Kompetenzen (Quelle: in Anlehnung an AIA International, 2007)

Unabhängig vom gewählten Vorgehensmodell wird es wohl immer Änderungen unmittelbar vor oder während der Realisierung geben. Grund dafür können unvorhersehbare Anpassungen oder Restrisiken sein, die bewusst oder unbewusst eingegangen wurden. Dennoch muss das Ziel lauten, die «Produktion» auf der Baustelle so stabil wie möglich zu organisieren, damit eine möglichst hohe Wertschöpfung für alle Beteiligten erreicht werden kann.

Aus Werkgruppen können sich eingespielte Partnerschaften ergeben.

Die frühe Einbindung von ausführenden Unternehmungen kann auch auf einzelne relevante Teilbereiche angewendet werden und muss nicht zwingend für alle Arbeiten an einem Bauwerk sinnvoll sein. Hier haben sich sogenannte Werkgruppen als hilfreich erwiesen. Werkgruppen sind ein temporärer Zusammenschluss von unabhängigen Unternehmen zu dem Zweck, eine innovative Gesamtleistung zu erbringen. Daraus können sich eingespielte Partnerschaften ergeben, die gemeinsam am Markt agieren. Wie auch immer die Organisation der Zusammenarbeit erfolgen mag, sie muss vertraglich so geregelt werden, dass die beteiligten Unternehmen ein gemeinsames Interesse an einem optimierten Projekt haben. Dieses Umdenken in der Zusammenarbeit bedingt einen Kulturwandel, der ein offenes Denken in Lösungen und nicht in Problemen sowie den Willen erfordert, wirklich etwas verändern zu wollen.

10 Der Begriff der horizontalen Integration stammt aus der Wirtschaft und bezeichnet den Zusammenschluss von Unternehmen auf gleicher Verarbeitungs- oder Handelsstufe, z. B. in der Planung, für einen bestimmten Zweck. Die Art des Zusammenschlusses ist dabei offen.

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Zitat: Was bleibt, ist die Veränderung: Was sich verändert, bleibt.
Zitat: Was bleibt, ist die Veränderung: Was sich verändert, bleibt.